11 April 2009

Wunsch und Wirklichkeit

... liegen manchmal ein paar Radlängen auseinander. Und manchmal ist es nicht möglich, sie einander anzunähern.

Der gemeinsame Beginn: Ich fahre mit dem Fahrrad auf einer einigermaßen schmalen, aber sehr langen, geraden und übersichtlichen Straße. Mir entgegen kommen zwei Autos. Vorn einer dieser Spielzeuggeländewagen, dahinter ein bodenständiger Passat Kombi älteren Baujahres. Ich konnte das so gut erkennen, weil mir beide sehr nahe kamen. Herr Passat beschloss nämlich, Herrn Geländewagen zu überholen. Das tat er auch und ließ dabei die Tatsache, dass ich schon recht nahe war und die Straßenbreite für zwei Autos und ein Fahrrad nicht reichen würde, unberücksichtigt.
Ich war zunächst etwas ungläubig. "Das kann der doch nicht ernst meinen!" dachte es in mir.
Er meinte es ernst, und mir blieb nichts anderes als die Flucht in den Straßengraben.

Wir sind immer noch bei der Wirklichkeit: Herr Passat schoss an mir vorbei, und ich schaffte es immerhin noch, ihm den Finger zu zeigen und ein herzhaftes "A...!" hinterherzurufen. Was er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht gehört hat.
Herr Geländewagen fuhr sehr langsam an mir vorbei. Ich dachte kurz, er wolle sich erkundigen, ob alles in Ordnung sei, aber er schenkte mir statt der gebotenen Aufmerksamkeit nur ein debiles Lächeln und verschwand aus meinem Blickfeld.
Ich schüttelte noch einmal verständnislos den behelmten Kopf, puhlte mich und mein Fahrrad aus dem Graben, fuhr ebenfalls weiter und gab mich meinen Träumen hin.

Mein Wunsch sah so aus: Im Straßengraben angekommen, drückte ich auf eine nur mir bekannte Taste meines iPod Shuffle, und eine ganz bestimmte Frequenz dröhnte aus den Ohrstöpseln, die auf meine Kraft und Schnelligkeit eine ähnliche Wirkung hat wie der Zaubertrank auf Asterix. Ich katapultierte mich aus dem Graben, rannte hinter dem Passat her und landete mit ein paar elfengleichen Sprüngen auf der Motorhaube, die Füße voran. Herr Passat blieb entsetzt stehen, und ich zerrte ihn am Kragen aus seinem Auto, brüllte ihn mit Donnerstimme an, was, zum Teufel er sich bei dieser schwachsinnigen Aktion wohl gedacht habe und schleuderte ihn gegen den nächsten Baum. Dort blieb er bewusstlos liegen. Ich rannte zurück, schnappte mir Herrn Geländewagen, der wie gelähmt in seiner Kasperkiste sitzen geblieben war, nahm ihn bei den Schultern und schüttelte ihn ordentlich durch. "Ich soll verunfallten Radfahrern helfen, statt sie blöde anzugrinsen! Wiederholen Sie das! JETZT!" "Ich soll blöden Fahrradfahrern helfen..." stammelte er. Ich gab ihm eine schallende Ohrfeige. "Nochmal!" "Ich soll allen Radfahrern helfen..." Damit ließ ich es gut sein, versetzte ihm noch einen freundschaftlichen Kopfstoß, damit er sich das Gesagte auch merken konnte und wandte mich wieder Herrn Passat zu, der gerade dabei war, die Flucht zu ergreifen.
"Wo wollen wir denn hin?" fragte ich ihn mit zuckersüßem Stimmchen. "Ähmähmähm..." Ich zog ihn sehr nah zu mir heran und hob mein Knie. Er sackte zusammen. "Darf man überholen, wenn kein Platz dafür auf der Straße ist?" fragte ich ihn. Er schüttelte wild mit dem Kopf. "Soll man auch immer auf andere Verkehrsteilnehmer achten?" Jetzt nickte er. Sprechen konnte er anscheinend noch nicht.
"Ich glaube Ihnen kein Wort!" erklärte ich ihm. "Ich will auch immer vorsichtig fahren!" schluchzte er. "Das ist nicht ganz richtig. Sie werden fortan überhaupt nicht fahren, sondern zu Fuß gehen." antwortete ich ihm und deutete lächelnd auf mein Knie. "Ja, ja, ja! Autos sind doof! Ich bin doof! Ich will nie wieder Auto fahren!" schrie er.
"Brav." lächelte ich ihn freundlich an, bevor ich ihm mit dem Mittelfinger kräftig gegen die Nase schnippte und mich seinem fahrbaren Untersatz zuwandte.
Als ich mit seinem Passat fertig war, betrug der Wert noch knapp ein Viertel der Abwrackprämie.

Und falls Sie, mein lieben Herren Passat- und Geländewagenfahrer, das lesen, denken Sie daran: Der nächste Radfahrer könnte im Besitz dieses Wunder-iPod sein! Oder noch viel wütender als ich...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen