gerade habe ich beschlossen, dass heute ein guter Zeitpunkt für ein Experiment ist. Schon immer wollte ich nicht nur zu Ihnen schreiben, sondern auch zu Ihnen sprechen. Deswegen habe ich gerade ein Video von mir aufgenommen. Dreieinhalb Minuten lang habe ich mich über den netten Herrn Schulz ausgelassen, ohne vorher irgendetwas aufzuschreiben, also sozusagen aus dem Stegreif.
Während ich das tat, musste ich mir ja zwangsläufig beim Entwickeln meiner Gedanken zusehen und -hören. Deswegen - und weil ich mir sofort nach Beendigung der Aufnahme das Video noch einmal angeguckt habe - stelle ich dieses Experiment hier auch nicht ein, sondern filme erst einmal das Wachstum meines Zitronenbäumchens.
Boah, habe ich mich erschreckt!
Kennen Sie dieses Phänomen? Wenn ein Spiegel nett ausgeleuchtet ist und das Licht entweder genau im richtigen Winkel einfällt oder das besser bleiben und einen im Halbdunkel stehen lässt, sieht man oft gar nicht so schlimm aus. Was Sinn macht, weil man sich ja von Zeit zu Zeit waschen und bunt im Gesicht machen muss und das nicht tun würde, wenn man von vornherein das Gefühl hat, dass man derartige Aktivitäten wegen Sinnlosigkeit auch bleibenlassen kann. Also, ich jetzt. Aber wenn man sich dann auf einem Foto sieht, ist es noch viel schlimmer als wenn man seine eigene Stimme auf einem Abspielgerät hört.
Ein Video verbindet beides auf geniale Weise: Man sieht aus wie eine Karre Mist und klingt wie der Eimer, den man gerade Björn Höcke mit Tötungsabsicht auf den Kopf haut. Ich rede immer noch von mir, aber in dieser Situation des Grauens finde ich eine Beschreibung in der 3. Person weniger traumatisch. Ich will ja schon trotzdem auch nett zu mir sein...
Und wieder bin ich um eine Erfahrung reicher: Bevor ich die nächste Videobotschaft in Angriff nehme, gehe ich zum Friseur, zur Kosmetikerin und zum Sprachtrainer. Dann verdunkle ich mein Arbeitszimmer, sage dreimal "Mimimi!" zum Stimmeaufwärmen und lege los.
Später. Viel später. Erst filme ich das Zitronenbäumchen.
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