10:00 Uhr. Wir sind 71 Läufer und -innen, die Witzenhäuser Kirschenkönigin zählt leise von 10 bis 1. Ich habe sie kaum gehört und finde, dass lautes Sprechen bei der nächsten Wahl unbedingt abgefragt werden sollte. Das traditionelle Mit-Herunterzählen fällt deswegen aus, und ich setze mich langsam in Bewegung. 42,195 Kilometer. Ohweia. Was tue ich hier?
Und dann muss ich auch noch daran denken, dem besten Ehemann von allen rechtzeitig Bescheid zu geben, wann meine Zielankunft zu erwarten ist, damit er sich mit Kamera aufbauen kann.
Bei Kilometer 8 habe ich meinen diesjährigen Horst Meier gefunden.* Der geht bergauf und läuft bergab, ich schenke ihm beim zweiten Überholen ein freundliches Lächeln und sage "Na, dann bis gleich!". Horst Meier guckt so mordlustig, dass ich fast ein bisschen Angst bekomme. Ab jetzt finde ich ihn Scheiße.
Beim ersten Verpflegungsstand werde ich ihn abgehängt haben, und er ist Geschichte.
Bei Kilometer 12 kann ich den Friedhof sehen.
Bei Kilometer 12,5 wäre ich beinahe falsch abgebogen, zum Bäckerladen. Ist eine allzu bekannte Strecke. Ein Käsezwirbel wäre jetzt auch fein.
Dann geht es als bergruff. Das findet aber im Wald statt und ist trotzdem schön. In der Ebene ist es schon viel zu warm, fast 20°. Brüllende Hitze nach den letzten spätwinterlichen Wochen.
Ich muss ein Stückchen gehen, merke, dass ich eine Blase am Fuß bekomme und der BH-Verschluss schubbert. Egal. Kleinkram. Noch tut mir nichts wirklich weh.
Weiter bergauf, unter mir eine matschige Waldautobahn, vor mir die drecksmistigen Windräder, die ein weiteres Naturschutzgebiet verschandeln und zerstören. Warum baut man die Dinger nicht da, wo ohnehin optisch nichts zu retten ist? Bitterfeld. Teile von Sachsen, Brandenburg und Thüringen. Ostwestfalen?
Ich richte den Blick auf den Matsch unter meinen Füßen, um mich nicht ärgern zu müssen. Dann geht es rechts weg in den Wald. Trail. Wurzeln, irre viel Gegend, Kaufunger Wald, wie er sein soll. Im iPod läuft "Nothing else matters", und ich singe laut mit. Das sollte hinter mir Laufende hinreichend verschrecken und auf Abstand halten.
Zeitraffer. Nach ein paar voll fiesen Anstiegen höre ich die Kleinalmeröder Bläser. Die stehen traditionell am Bilsteinturm und pusten die entkräfteten Läufer die letzte Steigung rauf. Ich bin fast bei Kilometer 30, und es wird jetzt lange Zeit bergab gehen.
Weil ich so glücklich bin, sich die Schmerzen in Grenzen halten und die Blase am Fuß sich scheinbar selbst zerstört hat, bürste ich den Weg hinunter, breit grinsend und einige Läufer überholend.
Kilometer 37. Hier steht mein Chef am Verpflegungsstand, begrüßt mich freundlich und hat ausgerechnet, dass ich in einer halben Stunde im Ziel sein müsste. Naja, der muss ja auch nicht noch ein paar weitere gemeine Anstiege hinter sich bringen.
Kilometer 40. Der letzte Verpflegungsstand. Inzwischen gehe ich doch mehr als ich laufe, aber es geht mir trotzdem immer noch gut. Von denen, die ich unterwegs überholt habe, hat mich noch niemand zurücküberholt. Das werte ich als ein gutes Zeichen. Trotzdem frage ich den Verpflegungsstandbetreuer, ob er mir für den Rest der Strecke sein Auto leihen möchte. Möchte er nicht. Mist.
Ich schicke dem besten Ehemann von allen eine Nachricht und bitte ihn, gegen viertel nach am Ziel zu sein.
Kilometer 41,5. Der beste Ehemann von allen steht gemeinsam mit dem besten Hund von allen zu weit vom Ziel entfernt, um mich beim Einlaufen fotografieren zu können. Also tue ich so, als wäre das Ziel genau hier, lächle freundlich, rase vorbei und ignoriere Frieda, die mit will.
Dann sind haufenweise Smileys auf die Straße gemalt. Noch eine Kurve... Ich renne wie der Teufel und frage mich kurz, wie ich das wohl mache.
Im Ziel klatscht einer der Organisatoren traditionell jeden Läufer und jede Läuferin ab, ich biege um die Ecke, erhalte im Ausrollen meine Medaille und denke, dass ich mich jetzt zum Sterben zurückziehen sollte.
Aber erst muss Frieda aus dem Trubel heraus, und der Mann muss mich fotografieren.
Ich bin eine Heldin, das ist mal sicher.
Übrigens hat der beste Ehemann von allen meine Nachricht erst zuhause bekommen. Ich erinnere mich, dass es letztes Jahr genauso war.
*Horst Meier ist eine Erfindung des Laufpapstes Peter Greif. Das ist der Mensch, den man aus welchen Gründen auch immer zutiefst unsympathisch findet und den es zu schlagen gilt. Also nicht mit der Hand, sondern im Rennen. Es gibt immer einen Horst Meier.
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