26 Februar 2018

Warum es einfach großartig ist, in den 60er-Jahren geboren zu sein:

Vor ein paar Tagen erhielt ich über WhatsApp ein kleines Filmchen, das, unterlegt von ziemlich scheußlicher Musik, die Vorteile darstellte, die es hatte, in den 50ern, 60ern, 70ern oder 80ern geboren worden zu sein. 
Normalerweise klicke ich solche Nachrichten einfach weg. Ist meistens irgendein rührseliger Mist, der mit "Schicken Sie das an mindestens 10 Kontakte weiter, sonst werden Sie nie wieder guten Sex haben!" endet.
Diese hat mich - mit etwas Verspätung, aber ich bin ja auch nicht mehr die Jüngste - ins Träumen gebracht.

In den 60ern geboren worden zu sein bedeutet nämlich nicht nur, dass es mit der Rente eng wird, weil wir so unglaublich viele sind. Es bedeutet auch nicht nur, dass wir der "60" näher sind als der "20", altersmäßig gesehen. Es bedeutet vor allem, dass wir an einer Entwicklung teilhaben durften, die ihresgleichen sucht und noch entscheiden können, ob wir bei Teilen des "Alten" verweilen oder uns mit Vehemenz auf das "Neue" stürzen wollen. Oder irgendwas dazwischen.
Menge, Tanzen, Diskothek, Feier, Tanz 
Nehmen Sie die digitale Entwicklung. Während die jungen Menschen mit starren Blicken an den Bildschirmen ihrer Smartphones kleben und von ihrer Umgebung mehrheitlich wenig mitbekommen, haben wir noch gelernt, den Kopf oben zu halten. Ist übrigens auch besser für die Halswirbelsäule. Trotzdem können die meisten von uns mit den neuen Medien umgehen, nutzen sie mehr oder weniger begeistert und freuen sich über die vielen Vorteile, die sie haben. Aber wir können eben auch ohne auskommen. Wir können zu einem Konzert gehen und gucken und hören und tanzen, ohne immerzu ein Handy in die Höhe zu halten und die Band nur durch das Display zu sehen.
Wir können noch ganze Sätze und Wörter orthographisch und grammatisch korrekt von uns geben, in mündlicher und in schriftlicher Form. Wir können uns noch länger als es dauert, einen Facebook-Post oder einen Tweet zu lesen konzentrieren.
Wir kamen auch noch mit Wetter klar. Wenn es schneite, wurde langsamer und früher los gefahren. Punkt. Kein Brennpunkt. Wenn es warm war, haben wir Uni, Schule oder später die Arbeit geschwänzt und sind an den Baggersee gefahren, um dort alle möglichen Getränke mit auf die Luftmatratze zu nehmen und Musik zu hören.

Boombox Ghetto Blaster Audio-Player Cd Spi
Die Musik kam in der Regel aus so einem Gerät.
Wir durften uns noch Zeit lassen beim Studieren. Manche von uns haben so lange "studiert", dass sie im Grunde genommen den Doktortitel für das Abnutzen der Vorlesungssäle hätten verliehen bekommen müssen. Der Rekord eines Taxikollegen lag bei 27 Semestern Jura. Das schafft man heute mit dem Bachelor nicht mehr! Leider konnte er sein Studium nie beenden, weil er mit Mitte vierzig einfach beim Feiern tot umgefallen ist - möge er, wo immer er ist, genügend Bier und Zigarren vorfinden!

Ich könnte Ihnen jetzt einen mindestens dreistündigen Vortrag darüber halten, wie großartig die meisten von uns sind und wie wunderbar und aufregend die viele unserer Leben sind - einfach, weil wir die Welt um uns herum live und in Farbe erleben durften, selten vor irgendetwas anderem Angst hatten als vor dem Atom-GAU und dem Wettrüsten, weil wir - nach meinem Dafürhalten - unfassbar gute und vielfältige Musik hören durften, nicht von jeder Katastrophe irgendwo auf der Welt sofort erfahren haben und uns auch nicht gezwungen sahen, zu allem und jedem eine Meinung nicht nur zu haben, sondern auch abzusondern. Wir haben Leserbriefe geschrieben. Mit der Schreibmaschine. Für uns bedeutete ein soziales Netzwerk "Kumpels, mit denen ich in die Kneipe gehe und über den Sinn des Lebens diskutiere". Wenn wir gespielt haben, waren das in der Regel Brett- oder Ballspiele.

Wissen Sie was? Ich überlasse Sie jetzt Ihren Erinnerungen, falls Sie ebenfalls zu dieser wunderbaren, großartigen, glücklichen Generation gehören. Oder Ihrem Neid, falls Sie sehr viel später geboren sind. Aber in diesem Fall haben Sie wahrscheinlich gar nicht bis hier gelesen, weil Sie sich nicht so lange am Stück konzentrieren mussten, Ihr Smartphone Geräusche gemacht hat oder Sie einen Beitrag auf Facebook liken mussten.

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