20 Juli 2008

George Winston - Autumn

Eigentlich ist Sommer. Das Wetter macht Herbst. Mein Herz macht Herbst. Meine Hände machen fließen. Aus mir heraus, in die Tastatur hinein. Vorher in unbeschriebene Seiten. Die jetzt beschrieben sind mit meiner ganz persönlichen Sicht der Dinge. Meins eben. Meine Gedanken. Meine Träume. Mein Willen. Meine Ideen. Meine Traurigkeit. Meine Tränen. Mein Lachen. Meine Freiheit. Mein Leben. Meine Erfahrungen.

Ist es möglich, all das (mit-) zu teilen?

Gedanken sind niemals Wahrheit, sondern Spaziergänge auf der eigenen Landkarte der Welt, Reflexionen bestenfalls. Aber reflektiert schon nicht mehr rein, sondern interpretiert.
Träume sind Unterbewusstsein, Verarbeitung des Vergangenen. Des eigenen Vergangenen. Persönlicher und geheimnisvoller geht es nicht, denke ich. Auf meiner Landkarte.
Willen. A sagt: "Ich will!", B versteht "... über mich hinwegrasen und verbrannte Erde hinterlassen." C sagt: "Ich will!", D versteht "... gegen alle Widerstände und auf anderer Menschen Kosten Deinen Willen durchsetzen." Manchmal weiß ich selbst nicht mehr, was ich meine und ob ich verstehe.
Ich habe Ideen, gute Ideen von Zeit zu Zeit. Möchte sie teilen, unterlasse es aber immer häufiger aus Angst, übervorteilt zu werden. Es sind schon viel zuviele Ideen gestohlen worden.
In mir ist eine tiefe Traurigkeit. Ich trauere um vergebene Chancen, um gestohlene Stunden, gestorbene Zwei- und Vierbeiner, um eine Puppe, die vor zwanzig Jahren beim Umzug verloren gegangen ist. Das Leben macht traurig, früher oder später. Mich jedenfalls, obwohl ich nichts lieber tue als Lachen.
Tränen sind Ausdruck von beidem. Tränen lachen. In Tränen ausbrechen. Tränen weinen. Tränen sind Salzwasser und besser als gar kein Meer.
Lachen ist in meiner Welt Ausdruck von Lebensfreude. Ich habe gestern gelacht beim Laufen, als ich pitschnass war und jeder Schritt in meinen Turnschuhen einen neuen, kleinen See fand, ich habe gelacht, als die Nachbarskatze erfolglos den Goldfischteich belauerte, habe heute meine Kursteilnehmerinnen zum Lachen gebracht. Lachen ist schön. Nötig. Tut gut. Echtes Lachen scheint selten zu werden.
Freiheit findet statt auf einer griechischen Insel im Libyschen Meer, zwischen zwei Felsen, beim Laufen, wenn ich bei mir bin, wenn sich das Feuer, das ich in mir trage, ausbreiten darf, ohne zu verbrennen. Freiheit bedeutet auch Verantwortung, darf nicht so weit gehen, dass andere eingekerkert werden für die eigene Freiheit. Freiheit will erkämpft sein, unter Tränen, mit Traurigkeit und Willenskraft, sie ist ein Traum, eine Idee, ein Gedanke. Freiheit ist alles: Zwei Regenbögen, die einen grauen Himmel durchbrechen, eine Katze auf Wanderschaft, ein ganz besonderes Licht auf dem Meer, eine Geschichte, die geschrieben werden darf. "Freiheit oder Tod" ist ein Roman von Nikos Katzantakis, einem kretischen Schriftsteller. Seine Protagonisten suchten selten einen Kompromiss.
Leben. Was soll ich zum Leben sagen? Ich lebe. Viel zu wenig. Ich spüre mehr in mir als ich zu leben den Mut habe. Ich habe eine Vorstellung vom Leben, und vielleicht werde ich eines Tages in der Lage sein, sie zum Leben zu erwecken. Eines weiß ich: Mit einem schlichten Kuss wird niemand lebendig gemacht, auch wenn Schneewittchen und Dornröschen das Gegenteil behaupten. Ich glaube nicht daran, obwohl ein Kuss wunderschön, zärtlich, liebevoll und vielsagend sein kann. Aber niemand garantiert, dass nach dem Kuss nicht der Schlag ins Gesicht folgt. Doch auch das ist Leben.
Erfahrungen durfte ich einige machen, aber das ist in einem vierundvierzigjährigen Leben auch normal, glaube ich. Es waren gute Erfahrungen, freundschaftliche, loyale, liebevolle, aber auch schlechte, Missgunst, Bosheit, Neid. Einige Erfahrungen wollte ich niemals machen, aber sie haben mich trotzdem gefunden und möglicherweise dazu geführt, dass andere Menschen mit mir Erfahrungen gemacht haben, die sie nicht machen wollten. Erfahrungen prägen das Leben, und sie sollten zwischen zwei Menschen nicht als Wettbewerb stattfinden: "Ich habe aber mehr Erfahrungen gemacht als Du!" "Vielleicht, aber meine waren garantiert schlechter!" Erfahrungen sind. Nicht mehr und nicht weniger.

Es ist immer noch Herbst in meinem Herzen. Was nichts Schlimmes ist, denn der Herbst ist ein bunter, freundlicher, reifer Monat. Trotzdem hätte ich gern noch einmal Frühling. Neuanfang. So tun, als ob das Jahr noch keine Erfahrungen gesammelt hätte. Leichtigkeit. Doch ich sehe schon dem Winter ins Gesicht. Es ist kalt. Wenn ich es warm haben möchte, muss ich

mir in Gedanken, in meinen Träumen, mit all meiner Willenskraft und einer guten Idee im Kopf ein Feuer anzünden, es hüten und bewachen, mit meinen Ideen füttern, meine Traurigkeit und die Tränen zurückhalten, damit es nicht verlischt. Statt zu weinen sollte ich lachen, leben, so wild, wie ich kann, all meine Erfahrungen in das Bewahren meines inneren Feuers stecken. Vielleicht finde ich dann in der Asche etwas, das mir Freiheit schenkt.

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