07 Februar 2009

Die (Wieder-) Entdeckung der Langsamkeit

habe ich gestern gemacht. Nein, nicht die von Sten Nadolny gemeinte, sondern die ganz persönliche eines Göttinger Taxifahrers. Ich muss vorwegschicken, dass ich häufig ein sogenanntes "Anrufsammeltaxi" nutze, das speziell für lange arbeitende und unvermögende Fitnesstrainerinnen und Schriftstellerinnen eingerichtet wurde. Es fährt einen bis vor die Haustür und kostet nicht viel. Ab und zu fahren auch SchülerInnen auf dem Rückweg von der Disko mit oder andere Menschen.

Inzwischen habe ich den einen oder anderen Lieblingsfahrer. Einer ist sehr temperamtentvoll, extrem gut aussehend und hört Blues, einer Schauspieler, der andere im Hauptberuf Taxifahrer und ebenfalls attraktiv. Alle drei sind Menschen, die mit ihrem Leben zufrieden zu sein scheinen, was den Umgang mit ihnen sehr angenehm macht.
Wenn ich mich abends auf den Weg zur Anrufsammeltaxihaltestelle mache, schicke ich immer eine Bestellung ans Universum, dass es mir bitte einen von ihnen schicken möge. Meistens klappt es, manchmal kommt jemand anderes, der oder die auch sehr nett und schnell ist (wie sich das für TaxifahrerInnen auch gehört), und manchmal kommt ... nennen wir ihn "Schnarchtatze", kurz S.
Nachdem ich lange verschont geblieben bin, beschloss das Universum gestern, mir einmal zu zeigen, dass es auch anders kann.

S. hielt, ich stieg ein. Die Zeit, in der seine Kollegen mich schon vor der Haustür abgesetzt haben und das schöne Whausen wieder gen Göttingen verlassen, brauchte er, um seine vielen kleinen Zettel zu sortieren. Auf einem von ihnen stand nämlich, dass ich jetzt 10 Cent mehr zu bezahlen hätte. Ich gab ihm nach fünf Minuten meine üblichen zwei Euro und schnallte mich an. S. wühlte weiter, denn jetzt galt es, noch die Quittung auszufüllen, die ich zu unterschreiben hatte. Nach weiteren 5 Minuten reichte er mir den Block, wartete, bis ich meinen Namen einmal in Druckbuchstaben und einmal per Unterschrift verewigt hatte, nahm ihn wieder an sich und verbrauchte weitere kostbare Zeit meines Feierabends, indem er alle seine Zettel umständlich verstaute. Dann drückte er den Knopf des Funkgerätes. Seine Kollegen wären inzwischen wieder in Göttingen angekommen und hätten wahrscheinlich schon ihren nächsten Fahrgast an Bord.
Nachdem S. der Zentrale das Offensichtliche gemeldet hatte: "Whausen, eine Person, 1,85 €." ging es los.

Kurz vor dem Abzweig auf die Schnellstraße murmelte er: "Oh, ich muss auf den Linksabbieger!" Ich nickte dankbar. Auf der Beschleunigungsspur blieb er kurz stehen, um den nichtvorhandenen Verkehr zu beobachten, fädelte sich auf der leeren rechten Spur ein und beschleunigte rasch auf 70 km/h. Wir befanden uns auf einer Schnellstraße, auf der bekanntermaßen 120 km/h erlaubt sind, S. aber hatte Sorge, dem Geschwindigkeitsrausch zu unterliegen und bremste abrupt auf 60 km/h hinunter. Ich schickte ein stummes Gebet nach oben: "Gebt mir Langmut und Friedfertigkeit!"

Auf der Landstraße angekommen, fand S. sich in einer weiteren, für ihn unübersichtlichen Situation wieder: Erstens war die Straße jetzt nicht mehr schnurgerade, sondern hatte ein paar leichte Kurven, zweitens war es neblig, und er brauchte eine Weile und sehr viel Wischwasser, bevor er herausfand, dass nicht seine Frontscheibe schmutzig war. 5 km vor dem Abzweig machte er dann eine Vollbremsung und sagte: "Hier hätte ich abbiegen müssen, oder?" "Nein, nein!" antwortete ich und atmete ein paarmal tief ein und aus. "Es ist die nächste, ich sage rechtzeitig Bescheid." Was bei inzwischen 50 km/h ja auch nicht schwierig war...

Ich versuchte, ein Gespräch in Gang zu bringen, hatte aber das Gefühl, dass ich für S. zu schnell redete. Seine "Hm."s und "Aha."s klangen nachdenklich.

Sehr viel später hielten wir dann vor meiner Wohnung. Ich stieg aus, wünschte S. eine gute Nacht und begab mich nach oben. Als ich zwei Stunden später ins Bett ging, stand sein Taxi immer noch in der Einfahrt - wahrscheinlich hat er seine Zettel neu sortiert oder meditiert.

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