01 Mai 2012

Tag 70. Damp.

Wer schon länger mitliest, könnte jetzt auf den Gedanken kommen, dass es mich bzw. meine alten Knochen wieder gerissen hat, ich mich in der gleichnamigen Reha-Fachklinik befinde und gerade dabei bin, meinen jährlichen "Bericht aus der Anstalt" zu verfassen.
Dem ist nicht so. Ich mache Kurzurlaub an der Ostsee und feiere heute meinen 70. alkoholfreien Tag. Mit koffeinfreiem Pulverkaffee und heißem Wasser. Das ist jetzt nicht so schlimm, wie es klingt - ich liebe diesen Pulverkaffee, und von heißem Wasser kann ich einfach mehr trinken. Außerdem bot sich aus der Sauna heute abend der folgende Anblick: Ein Herr mittleren Alters, gewandet in Trainingsanzug und Turnschuhe, ein Pärchen, sie in weißem Stepp, er in Jumper und mit Rucksack über der Schulter. Tanzend. Am Strand sind nämlich Buden aufgebaut, es gibt eine Strandbar, überteuerte Kaffeeläden und einen DJ samt Tanzfläche, auf der sich die drei Beschriebenen vergnügten. Die Herren hatten jeweils ein Bier in der Hand und sahen irgendwie putzig aus. Die Dame trug weißen Stepp. Das muss reichen.
Wenn meine Alternativen darin bestehen, entweder mit Bierpulle in der Hand und Trainingsanzug an einem öffentlichen Strand nach "Sweet Home Alabama" herumzuhüpfen oder lebenslang koffeinfreien Pulverkaffee zu trinken, würde ich schnellstmöglich eine Mail an die Leute von Nescafé schicken und um Mengenrabatt betteln.

  Damp ist schön, wenn man dem Hotel den Rücken zugedreht hat: Sehr viel Raps, noch mehr Löwenzahn, brüllende Möwen und noch lauter brüllende Wellen, das Ganze zumindest heute bewacht von einem quietschblauen Himmel und strahlendem Sonnenschein. 

Eigentlich wollte ich aber ganz etwas anderes schreiben, etwas Melancholisches, Nachdenkliches. Das kommt dann im nächsten Post, also dem, der oben steht. Was jetzt blöd ist, weil Sie ja dann das Melancholische zuerst lesen. Okay, ich verfasse eine Warnung, dann können Sie diesen Text zuerst lesen. Der andere, also der, der noch kommt, aber vor diesem stehen wird, ist allerdings gehaltvoller. Finde ich. 
Das wechselt zur Zeit aber auch wie verrückt: Mal habe ich eine eher plapperige Phase, dann wieder bin ich zwar immer noch plapperig, aber anders. Heute nachmittag war ich eben kurz mal ein bisschen melancholisch. Aber wirklich nur kurz. Wobei gegen Melancholie von meiner Seite nichts einzuwenden ist. Jedenfalls nicht, wenn es nicht zum Dauerzustand wird. Dann heißt das Kind wahrscheinlich bald "Depression" und will medikamentös behandelt werden.

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich nüchtern wirrer bin als betrunken. Allerdings will ich das nicht im Selbstversuch ausprobieren, womöglich finde ich mich dann sternhagelvoll und im Bademantel auf der Tanzfläche am Strand wieder, wo ich den mittelalten Herrn im Trainingsanzug beflirte. Betrunkene tendieren ja dazu, immer alles wegzuschleppen, was irgendwie über ist und sich am nächsten Morgen vor dem Bettnachbarn bzw. der Beischläferin zu gruseln.

Schnell wieder zurück zum Pulverkaffee und der Wirrigkeit. Irgendwie fühlt sie sich im nüchternen Zustand eher an wie eine Wirrigkeit, die immer noch eine Art System hat. Verstehen Sie? Wenn nicht: Nicken Sie verständnisvoll - neben meinen melancholischen, wirren oder plapperigen Phasen habe ich auch gerade eine, in der ich mich über Anerkennung in jedweder Form freue. (Sie dürfen mir also auch gern sagen, dass ich auch in weißem Stepp ganz großartig aussehen würde!)

Jetzt fange ich aber mal mit dem melancholischen Text an. Der ist viel kürzer. Versprochen.

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