19 November 2012

Der Ruhewaggon

Inzwischen habe ich eine Vorstellung. warum mein lieber Freund La Guasa in eben diesem von Tötungsphantasien heimgesucht wird. Mir hat eine Fahrt nach Berlin gereicht, um vor meinem inneren Auge Äxte und Kettensägen kreisen zu lassen.

Da hat die Deutsche Bahn ja als Ausgleich für verspätete, überhitzte oder unterkühlte Züge neuerdings diesen Ruhewaggon. Am Eingang gibt es durchgestrichene Mobiltelefone (für Doofe, die nicht lesen können oder nicht Deutsch sprechende Reisende), außerdem den Hinweis, bitte Ruhe zu halten. 

Auf der Hinfahrt saß neben mir eine normal intelligent aussehende junge Dame, die ab Berlin Spandau unausgesetzt in ihr Smartphone brüllte, weil ihr aktueller Sozialpartner offensichtlich auf dem Beziehungsohr taub war.

Ich versuchte derweil angestrengt, die junge Dame zu ignorieren und weiter an meinem Genreroman zu schreiben. Erfolglos.

Dann versuchte ich es mit nonverbaler Kommunikation: Genervte Blicke in die Richtung der im handyfrei gedachten Ruhewaggon telefonierenden dämlich blöden Mistschnepfe, dann, als das nicht wirkte, lautem Stöhnen und ebenso lauten Selbstgesprächen. 

Als all das unwirksam blieb und auch kein Schaffner in Sicht war, um die dämlich blöde, ignorante Mistschnepfe zur Ordnung zu rufen, bemühte ich mein altertümliches Netbook. "Halten Sie bitte die Klappe, gehen Sie woanders hin, oder werden Sie das aus mehreren Wunden blutende Opfer meiner neuesten Kriminalkurzgeschichte!" schrieb ich und hielt ihr den Bildschirm unter die Nase. Dicht.
Blöde, ignorante MIstschnepfe verstand endlich, dass sie eine nervende, blöde, ignorante Mistschnepfe in Lebensgefahr war und drängelte sich an mir vorbei. Halleluja!

Auf der Rückfahrt zwei Tage später schrieb ich still vor mich hin, als mein Sitznachbar, ein nicht besonders attraktives männliches Wesen mit wichtigem iPad, mich fragte, ob es in Ordnung sei, wenn er weiter mitlese. NEIN! Ich schrieb und schreibe an einem Genreroman, will diesen bis zum 30.11. fertig bekommen und außerdem "Shades of Grey" in den Schatten stellen, in den dieses Machwerk meiner Ansicht gehört. Das ist PRIVAT!!! Da will ich allein sein! Vor allem aber will ich nicht, dass irgendein wildfremder Kerl von mir frisch ausgedachten Schweinkram mitliest, bloß, weil dieser verbale Voyeur zufällig auf einem Platz sitzt, den ich gern für mich und meine Wasserflasche allein hätte!

Ich sagte also mehr oder weniger freundlich "Ja. Denn wenn Sie mitlesen, leidet meine Kreativität." Daraufhin quatschte er mich voll, ganz nach dem Motto: "Scheiß auf den Ruhewaggon! Und Scheiß auf Schriftstellerinnen, die gerade einen Kreativitätsschub haben!" Ich fragte mich derweil, warum es verboten ist, Menschen zu töten, die den Ruhewaggon zum Telefonieren und Quatschen missbrauchen. (Liebster Guasa, Du fährst häufiger Zug als ich: Bring sie einfach alle um - ich gebe Dir ein Alibi!)

Rückblickend (inzwischen habe ich mich vom Affentheater im Ruhewaggon und drumherum erholt) bin ich sehr froh und dankbar, dass ich ein Auto besitze und nicht Zug fahren muss. Und beim nächsten Dienstreiseantrag werde ich in der Spalte, in der man begründen muss, warum man nicht die öffentlichen Verkehrsmittel benutzt, schreiben, dass die geistige Gesundheit bereits im Ruhewaggon in höchstem Maße gefährdet ist - wie schlimm müssen die Folgen für die Arbeitsfähigkeit dann erst im normalen Zugabteil sein! 

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