14 November 2016

Der Graf ist weg - Teil 2

Der Herr Graf Eckehart Kanari von Waldungen steht immer noch auf dem Burgfried und blickt zufrieden über sein Land. Er ahnt nicht, dass es im verbliebenen Wald um das Schloss herum von Windkraftgegnern in schwarzen Kutten und Sturmhauben nur so wimmelt. 
Denn das kleine, renitente Grüppchen am Rande des gräflichen Besitzes hat inzwischen Verstärkung aus der Nachbarschaft bekommen. Die Dorfbewohner von der anderen Seite des Flusses hatten es verpasst, rechtzeitig gegen die Zerstörung des Naturparks zu demonstrieren. Jetzt war es zu spät, und aus jedem der Häuser blickte man auf inzwischen zehn fast 200 Meter hohe Metallungetüme, die Waldwege waren zu riesigen Schneisen geworden, und die Touristen, die früher gern in dem kleinen Dörfchen übernachtet hatten, blieben aus. Niemand fand es erholsam, durch tiefen Matsch zu stapfen, auf die Folgen der Energiewende zu schauen und nachts von blinkendem Rotlicht am Schlafen gehindert zu werden.

Jetzt war die Gruppe der Windkraftgegner auf einige hundert Menschen angewachsen. Der Landarzt stand neben seinen Patienten, der Bäcker tat sich mit dem Schlachter und der Ladenbesitzer der Kreisstadt zusammen, und Hochschullehrer hatten sich mit Aussteigern verbündet. Einzig die Lokalpolitiker und Banker fehlten; sie waren mit dem Öffnen der zahlreichen Umschläge, die sie während der Meinungsbildung erhalten hatten,  beschäftigt oder damit, ihre Sprösslinge auf den vakanten Stellen unterzubringen.

Und während der Herr Graf sich lächelnd über sein Schmerbäuchlein streicht und den zu erwartenden Geldsegen für die nötigen Investitionen und ein Häuschen auf einer kleinen, exquisiten Insel, wo Bauten von mehr als 14 Metern Höhe verboten sind, verplant, brechen die renitenten Dorfbewohner leise das Schlosstor auf. Zu ihnen gehören nämlich auch ein paar Einbrecher, die von einigen Polizeibeamten, die ihre Häuschen ebenfalls vor vielen Jahren mit Blick auf den Wald gebaut hatten, und jetzt auf Windkraftanlagen starren mussten, extra freigelassen worden waren.

Genau 200 Personen, einer für jeden Meter Windkraftanlage (die Organisatoren hatten großen Sinn für Symbolik), stürmten das Schloss. In Nullkommanichts waren sie beim Grafen angekommen; einer stülpte ihm einen Jutebeutel über den Kopf, ein weiterer haute zweimal mit einem Baseballschläger auf den Beutel, die anderen fingen den Bewusstlosen auf und schleppten ihn die Treppe herunter, aus dem Schloss und durch den Wald in ihr Versteck.

Wie es weitergeht, erfahren Sie in Kürze. Ich weiß noch nicht so ganz genau, was mit dem Grafen geschehen soll. Aber ich bin in äußerst krimineller Stimmung und daher guter Hoffnung, dass mir etwas einfallen wird.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen