07 März 2018

Nebel über Ostdeutschland

Heute führte mich mein Weg ausnahmsweise nicht nach Ostwestfalen, sondern nach Berlin und Grimma. Ganz davon abgesehen, dass mir schon beim Gedanken an Berlin und den dortigen Verkehr die Panik im Nacken saß, hatte ich auch meine Sorgen, wie mich die Menschen in diesem mir völlig fremden Land (Ostdeutschland) wohl aufnehmen würden. Würden sie mir den Weg zeigen, wenn der Akku meines Smartphone ob meiner Dauernavigiererei den Geist aufgibt, mir die Türen aufhalten, wenn ich mit meiner Sackkarre um die Ecke komme und mich nicht mit ihrem legendären Fahrstil noch mehr erschrecken?

Wundern Sie sich nicht - das sind Gedanken einer Wessi, die es in den Osten der Republik führt! Ganz ehrlich: Mentalität, politische Gesinnung, Wahlverhalten und Fahrstil dort sind mir fremder als alles, was mir beispielsweise jemals auf Kreta begegnet ist. Aber das ist eine andere Geschichte, auf die ich heute nicht eingehen möchte.

Ich fuhr bei bedecktem Himmel los; im Harzvorland nebelte es. Autobahn. Langweilig. Besonders langweilig, wenn einem der Autoverleihergott einen gedrosselten Sprinter geschenkt hat. Das bedeutet: maximal 120 km/h, egal, wie steil bergauf oder bergab es gehen mag, gepaart mit dem Gefühl, das Auto würde von etwas Großem festgehalten.
Bei Salzgitter (so langweilig dort!) sieht es für ein paar Kilometer so aus, als wollte sich die Sonne zeigen. Tut sie aber nicht, sondern versteckt sich schamhaft hinter Nebelschwaden, sobald "Braunschweig" auf den Autobahntafeln steht. 
Und es wird schlimmer. Bei Magedeburg (noch viel langweiliger als Salzgitter) ist es nicht nur so diesig, dass jeder Depressive sich über den Anlass für noch mehr Traurigkeit freuen würde, es liegt auch noch Schnee, und meine erste Lieferadresse erreiche ich nur, indem ich erst über Schneewehen klettere und dann knöcheltief durch eine Pfütze wate. Möglicherweise ein Rest des real existierenden Sozialismus; da haben sie ja aufgehört zu pflastern, sobald die Pflastersteine aus waren und auf neue gewartet. Hier scheint es keine mehr zu geben.

Weiter. Ich passiere das Bundeslandschild "Willkommen in Brandenburg" und denke "Aha, hier kommt also dieser widerliche Herr Gauland her..." Gewählt haben die dort fast ordentlich: Immerhin hat die Linke 4% mehr bekommen als die AfD. Aber das ist auch ein anderes Thema.
Jetzt wird es brüllelangweilig: Kiefern hinter Zäunen rechts und links der Autobahn, noch mehr Nebel, noch mehr Matsch. Ich habe das Gefühl, die einzige Sprinterfahrerin mit deutschem Kennzeichen zu sein, die (gezwungenermaßen) konstant 120 km/h fährt; rechts und links von mir sausen polnische, rumänische und tschechische Selbstmordkandidaten vorbei.

Dann Berlin. Ist gar nicht so schlimm, wie ich angesichts meiner Erfahrungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln dort erwartet hätte. Ich fühle mich in meinem Lieferwagen halbwegs sicher, wechsele munter die Spuren, je nachdem, was mein Navi mir sagt, erinnere mich, dass mein Chef mich vor den überall herumstehenden Blitzern gewarnt hat und werde wieder rechts und links von anderen Sprintern überholt. Das mit den Blitzern scheint nur für Auswärtige zu gelten.
Ich beliefere drei Eisdielen, die an unterschiedlichen Stellen Berlins liegen, parke wie angewiesen einfach da, wo ich gut ausladen kann, ohne mich um den wegen mir stockenden Verkehr zu kümmern und stelle mich dann in den Stau derjenigen, die zwar in Berlin arbeiten, dort aber offensichtlich nicht bleiben wollen. Was ich verstehen kann. Was sie allerdings im Vorland wollen, verstehe ich nicht.

Auf nach Leipzig. Die Strecke rechts und links der A9 ist fast noch langweiliger als die von Westen kommende. Kiefernwälder. Ab und zu ein braunes Schild, das auf Sehenswürdigkeiten hinweist, die ich nicht erkennen kann und von denen ich nicht glaube, dass es sie gibt. Im Radio läuft erst ein Beitrag über die in Freital ansässigen Neonazis, die gerade wegen versuchten Mordes verurteilt wurden. Dann erzählt der hörbar ostdeutsche Moderator, dass eine AfD-Abordnung nach Syrien gereist sei, um zu beweisen, dass es dort sicher ist und man die syrischen Geflüchteten schnurstracks wieder zurückschicken kann. Dazu reden sie mit einem Mufti, der dafür bekannt ist, zu religiösen Kriegen und Attentaten aufzurufen. Nach Deutschland haben sie ihn auch eingeladen, wahrscheinlich, um zu beweisen, wie böse diese Moslems doch sind. Der ostdeutsche Sender lässt den AfDlern - u.a. dem Herrn Poggenburg, der für die Kameltreiber verantwortlich zeichnet - viel Raum für ihre Meinung, und ich schalte angewidert und mit dem Gedanken "War ja klar!" das Radio ab. Nein, ich verstehe die Leute hier nicht - jedenfalls nicht den Teil, der sich rechtsaußen befindet oder mehr oder weniger still damit sympathisiert.
Dann Grimma. Da sind sie nett und zeigen mir, wo ich parken kann. Vorher allerdings hat mich ein tiefergelegter Eingeborener erst kurz vor einem Kreisel überholt, um dann mit 70 km/h auf gerader Strecke vor mir her zu schleichen. Ich denke mir: "War ja klar!" Aber das hätte mir, ich gebe es zu, auch in Ostwestfalen oder im Landkreis Northeim passieren können.

Um 18:45 Uhr trete ich den Heimweg an. Inzwischen ist es dunkel, und ich sehe nicht mehr, wie langweilig die Gegend auch hier ist. Dafür blinkt es rechts und links der Autobahn, so dass ich mir vorkomme wie bei "Independence Day". Rotes Windradgeblinke, die eine oder andere Chemiefabrik, Industrieanlagen, die - nach der Beleuchtung zu urteilen - jeweils über mindestens eine Raketenabschussbasis verfügen müssen. 

 Verkehr, Nacht, Langzeitbelichtung Ich verlasse zum Tanken kurz die Autobahn. In einem gottverlassenen Kaff ohne auch nur den Anschein von menschlichem Leben soll ich 30 km/h wegen Lärmschutz fahren. Mache ich natürlich nicht und werde geblitzt. "Räuberische Mistkerle! War ja klar!" denke ich mir.

Um 21:15 Uhr passiere ich die hessische Landesgrenze. Halleluja!

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