26 Juli 2008

Menschen ändern sich

Eigentlich hätte ich ein Märchen schreiben wollen. Aber jetzt muss zuerst ein Zustandsbericht, der sich schon seit Längerem in meinem Kopf ausbreitet, verfasst werden. Das Märchen ist noch immer in meinem Kopf, es handelt von Prinzessinnen, die ankommen wollen und Prinzen, die kochen können, von Kröten und Fröschen und von Alice Schwarzer. Aber das gibt es eben erst später, weil der Zustandsbericht in meinen Augen eine höhere Wertigkeit hat.

Märchen und Zustandsbericht haben allerdings etwas gemeinsam: Sie beginnen mit "Es war einmal...". Der Zustandsbericht endet mit "Es hat nichts mit Dir zu tun...".

Und los gehts!

Es war einmal, vor langer, langer Zeit, da schickte sich eine Gruppe junger Menschen an, die Welt zu verbessern. Zunächst nahmen sie sich wegen der besseren Übersicht nur einen kleinen Teil vor, der hier nicht wichtig, weil austauschbar ist. Sie arbeiteten zusammen, halfen sich gegenseitig, standen füreinander ein. Und die Menschen, mit denen sie zu tun hatten, spürten, dass sich etwas geändert hatte. Sie fühlten sich wohler als zuvor, sie waren etwas zufriedener, schimpften weniger und fanden nur wenig Gründe zur Beschwerde.

Selbstverständlich gab es in der Gruppe der jungen Menschen einen "primus inter pares". Bei jedem Treffen bedankte er sich für den Zusammenhalt und den Einsatz, stellte neue, schöne Ziele in Aussicht und neue Gruppenmitglieder, die den anderen bei der Arbeit helfen sollten.

Zunächst jedoch fand sich noch keine Unterstützung. Der "primus inter pares" wurde zum Chef und machte Vorgaben. Er hatte nämlich gelernt, dass zu einem erfolgreichen Unternehmen auch große Ziele gehörten. Und damit alle wussten, dass er es ernst meinte, verteilte er fortan Zahlen, diesmal ohne vorherige Besprechung. Die Zahlen standen für bedruckte Papierscheinchen, die jedes der Gruppenmitglieder am Ende eines Monats eingenommen haben sollte über Verkauf und Beratung.
Aber die jungen Menschen waren zu sehr mit der Betreuung der Kunden beschäftigt und fanden keine Zeit, die geforderten Papierscheinchen zu verdienen.
Der Chef jedoch fand günstige neue Gruppenmitglieder. Jetzt waren alle entlastet und sollten nicht mehr nur für den Erhalt, sondern Fortschritt und Gewinn des Unternehmens sorgen. Einige rebellierten und sagten: "Aber ich möchte doch Menschen helfen, von Verkaufen war niemals die Rede!", andere fügten sich in ihr Schicksal und befassten sich mit den geforderten Zahlen.

Ein erfolgreiches Unternehmen hat natürlich auch einen gewissen Standard zu erfüllen, nicht nur in verkäuferischer, sondern auch in sprachlicher Hinsicht. Und so wurden innerhalb kürzester Zeit aus Besprechungen "Meetings", Interessenten zu "Walk Ins", Verkauf zu "Sales", der Enspannungskurs zu "Relaxation & More", man verteilte Diaries und headhuntete.

Und es funktionierte: Aus früher mitfühlenden Gruppenmitgliedern wurden perfekte Verkäufer, die eine Bitte um Rat sofort mit der aktuellen Preisliste beantworteten, aus KollegInnen wurden KonkurrentInnen, die sich nicht scheuten, für ihre Provision auch einmal den anderen Termine wegzuschnappen, es bildeten sich Untergruppen, man belauerte sich.

Ein paar versuchten immer noch, den ursprünglichen Vorsatz, nämlich Menschen zu einem guten Gefühl zu verhelfen, in die Tat umzusetzen. Doch da sie nur ein Lächeln, aber keine Zahlen vorweisen konnten, wurden sie nach und nach aus der Gruppe entfernt. Das ging solange, bis nur noch die Verkäufer blieben.

Das Unternehmen hatte großen Erfolg. Diejenigen, die nichts geben konnten als guten Rat und Lächeln, wurden entweder von anderen Verkäufern assimiliert oder sind heute ALG-II-EmpfängerInnen. Einige Wenige lächeln allerdings noch immer.

Denjenigen, die entlassen wurden, sagte der Chef übrigens: "Du bist ein großartiges Teammitglied, und ich bin Dir sehr dankbar für den Job, den Du gemacht hast! Die Entlassung ist rein wirtschaftlich bedingt und hat nichts mit Dir zu tun!"

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