22 Juli 2008

Scarlett & Rhett

Sie trocknete sich die Augen und sagte in ihrer Herzensangst: "Rhett, wenn Du mich einmal so sehr geliebt hast, so muß doch irgend etwas davon noch übrig sein."
"Zweierlei, sehe ich, ist mir aus allem geblieben. Gerade das, was Dir am meisten verhaßt ist ... Mitleid, und eine seltsame Regung von Güte."
Mitleid! Güte? "Oh mein Gott", dachte sie verzweifelt, "alles andere, nur nicht Mitleid und Güte." Jedesmal, wenn sie diese beiden Gefühle für jemand empfunden hatte, so waren sie von Verachtung begleitet gewesen. Verachtete er sie auch? Alles wäre ihr lieber als das, selbst seine zynische Kühle aus der Kriegszeit, die trunkene Tollheit, die ihn, mit ihr auf dem Arm, die Treppe hinaufjagte, damals in der Nacht, als seine rohen Hände ihr weh taten, oder auch die bissigen Worte, die, wie sie jetzt erkannte, nur der verschämte Ausdruck einer wirklichen Liebe gewesen waren. Alles, nur nicht die unpersönliche Güte, die ihm jetzt deutlich auf dem Gesicht geschrieben stand!
"Du willst also damit sagen, daß ich alles zertrümmert habe ... und daß Du mich nicht mehr liebst."
"So ist es."
"Aber", sagte sie hartnäckig wie ein Kind, das immer noch meint, wenn es seinen Wunsch ausspreche, sei er schon erfüllt, "ich liebe dich doch!"
"Dann ist das dein Unglück." (Margaret Mitchell: Vom Winde verweht, 1953)

Rhett ist gegangen, und Scarlett blieb am Ende nichts, als sich selbst zu beschwören:

"Morgen, auf Tara, will ich über das nachdenken. Dann werde ich es ertragen. Morgen wird mir schon einfallen, wie ich ihn mir wieder erobere. Schließlich, morgen ist auch noch ein Tag."

Sie hätte besser die lange Zeit genutzt, die sie mit Rhett gemeinsam verbringen durfte. Aber sie war in Ashley Wilkes verliebt und in sich selbst. Alle Anstrengungen Rhetts, ihr seine Liebe zu zeigen, waren vergeblich, denn sie prallten an dem Panzer ab, den Scarlett sich über die Jahre zugelegt hatte. Sicher, er hatte seine Liebe immer ironisch präsentiert, so getan, als könnte ihn ihr Verhalten nicht verletzen.

Und Scarlett verhielt sich selbst, als sie - zu spät - erkannte, dass er der Mann war, den sie liebte, so, wie sie es immer getan hatte: Fordernd, voller Überzeugung, dass sie nur diese drei Worte sagen müsste, um ihn zu halten.

Sie haben "Vom Winde verweht" immer für rassistischen Südstaatenkitsch gehalten? Nun, Margaret Mitchell hatte möglicherweise nicht vor, die Rassentrennung zu bekämpfen. Aber sie hat einen der bewegendsten Liebesromane des letzten Jahrhunderts geschrieben. Und einen der tragischsten noch dazu.
Finde ich.

Da eröffnet sich einer jungen Frau die Möglichkeit, sich mit einem Mann zusammenzutun, an dem sie sich reiben kann, der ihre Kraft und Energie sieht und ihr standhält, der vielleicht schon so früh erkannt hat, was in ihr steckt. Sie jedoch wendet sich ab, weil sie ihn grob und ungehobelt findet, er kein "Gentleman" für sie ist. Immer wieder treffen die beiden aufeinander, und jedesmal reicht er ihr seine Hand, bietet ihr Hilfe an. Sie lässt sich von ihm helfen, aber ihr Herz erreicht er nicht.

Und so geht es weiter und weiter und weiter, und während all der Zeit, die sie zusammen verbringen, gibt es nur einen kurzen Moment, in dem auch sie sich öffnet. Er weckt sie aus einem Alptraum, und sie teilt ihm ihren tiefsten Gedanken mit, den Gedanken, der sie im Traum heimsucht und der ihr ganzes Leben bestimmt: "Ich suche und suche, aber ich kann es nicht finden!"

Ich glaube nicht, dass Scarlett am Ende herausfinden konnte, was sie so verzweifelt gesucht hat.

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