27 Oktober 2008

Die Regenjacke

Ein um meine Gesundheit besorgter Liebster hat mir vor längerer Zeit eine Goretexjacke plus dazu passender Fahrradhose geschenkt. Die Hose muss ihre Wirkung aus dem Kleiderschrank heraus tun, weil ich wegen der vielen Fahrradfahrerei inzwischen solche Knallwaden habe, dass ich besagte Hose auch bei größter Kraftanstrengung einfach nicht darüber gezogen bekomme. Die Jacke kann man glücklicherweise nicht nur zum Fahrradfahren tragen, sondern auch zum Laufen. Genau das habe ich heute getan.
Meinen Ausflug in den verregneten Herbstmontag habe ich generalstabsmäßig geplant: Wetterbericht im Internet geguckt, der besagte, dass es am Nachmittag weniger regnen würde, Laufsachen und Goretexjacke zurechtgelegt, mit meinem Spanischkurs unter das Dachfenster gesetzt und gewartet. Dann schien sich das Wetter etwas beruhigen zu wollen. Doch als ich gerade meine Laufhose ("Tights" heisst das eigentlich in richtigem Sportscheck- und FitForFun-Deutsch) angezogen hatte, begann eine wahre Sintflut auf das Dachfenster zu prasseln. Ich überlegte mir, dass solche Wassermengen auch die teuerste Jacke kaum abhalten können würde, lernte noch ein paar Vokabeln und wartete.

Übrigens sind diese neuen, interaktiven, alle Sinne ansprechenden Lehrbücher nicht wirklich auf meiner Wellenlänge. Ich habe mir wesentlich mehr merken können, als ich noch unregelmäßige Verben, Vokabeln, Grammatik und Betonungen schlicht auswendig lernen durfte. Jetzt soll ich mich mit meinem Computer unterhalten und die Nachbarn ansprechen, während ich Flamenco im Wohnzimmer tanze, wegen der Olfaktorik ätherisches Limonenöl verbrenne und tief ein- und ausatme. Die Wörter kann ich mir trotzdem nicht merken.
Aber ich habe ein altes Spanisch-Lehrbuch aus meiner Schulzeit gefunden. Hier muss man lernen, ganz ohne Einschaltung irgendwelcher dritten oder vierten Sinne, und das tue ich, während ich auf eine Regenpause warte. Holá! Soy LaGuapa, y como se llama usted? Oder so.

Gegen 13.30 Uhr hat der Regen dann tatsächlich nachgelassen, und ich verlasse nach einer kleinen mentalen Vorbereitung in Tights und Goretexjacke das Haus, sehr zur Verwunderung meiner Vermieterin, die mir anbietet, mich mit dem Auto mitzunehmen, wenn ich dringend irgendwohin muss. Muss ich aber nicht, sondern nur so rum, und daher verlasse ich nach ein paar freundlichen Sätzen, von denen ich wegen des MP3-Players in meinem Ohr nur meine verstehe, das Haus.

Boah, was ist diese Jacke warm! Schon nach ein paar hundert Metern fange ich an zu schwitzen. Es fühlt sich an wie extrem verfrühte Wechseljahreshitzewallungen. Und natürlich fällt gerade kein Tropfen vom Himmel.
Schön, denke ich mir, dann kann die Jacke ja mal zeigen, was sie kann. Immerhin soll sie ja nicht nur das Wasser, das von aussen auf die Läuferin einprasselt, vom Körper abhalten, sondern auch das, was sich unter dem Goretex befindet, nach aussen transportieren. Aber die Jacke versagt. Ich fühle mich wie in meiner eigenen Sauna, die ich nicht zum Abkühlen verlassen kann, weil sie an mir klebt. Mit Klettverschlüssen.
Aber da vorn sehe ich eine dicke Wolke; wenn ich einen Zahn zulege, erwische ich vielleicht den Regenschauer.

Inzwischen habe ich klitschnasse Füße, denn meine Schuhe sind nicht aus Goretex, sondern aus Mesh (auch sowas Englisches, keine Ahnung, welche Funktion das Zeugs hat...), und das hält nicht warm, sondern kühl. Und auf gar keinen Fall trocken. Außerdem stinken die Gänse und Ziegen, an denen ich vorbeilaufe. Das sage ich ihnen auch.

Schwitz. Unter der Goretexjacke sammelt sich das Wasser. Draussen kommt langsam die Sonne zum Vorschein.

Ehrlich gesagt, bin ich trotzdem glücklich über diesen letzten Beweis einer einstmals großen Liebe in Form dieser wunderbaren Jacke. Sie leuchtet im Dunkeln, und ich hätte sie mir niemals gekauft, weil sie viel zu teuer für notleidende Möchtegernschriftstellerinnen ist. Ich hätte eine von Aldi oder Lidl genommen. Und in der hätte ich mich wahrscheinlich totgeschwitzt!

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