13 Oktober 2008

Langer Lauf

Kilometer 1: Wieso gibt diese blöde Pulsuhr schon seit Tagen so eine niedrige Frequenz vor? Mir geht es doch großartig! Bis auf den Gürtel mit den Trinkflaschen drin - bin ich nicht gewohnt und fühlt sich irgendwie komisch an. Aber das Wetter ist schön, und ich freue mich aufs Laufen.
Kilometer 2: Ich bin zu schnell. Das ist vielleicht eine gute Geschwindigkeit für 8 km, aber nicht für 15. LANGSAMER! JETZT!
Kilometer 3: Laufen dauert ja irgendwie länger als Radfahren... Ist mir früher nie so aufgefallen. Welche Geschichte schicke ich bloß für "Loving Aliens" ein? Soll ich vielleicht "Der Stern und das Mädchen" ein bisschen umschreiben, nicht so schwülstig, sondern mit mehr Erotik und Dramatik? Gott, ist mir warm! Jetzt schon.
Kilometer 4: Zwischenzeiten merken! Und die erste Trinkflasche leeren, dann wird der Gürtel gleich leichter. Was ist das für ein A..., der da so dicht an mir vorbeifährt? Sieht der nicht, dass ich nichts höre?
Kilometer 5: Und was mache ich mit dem NaNoWriMo? Was will ich schreiben? Über das böse Haus in der Göttinger Innenstadt und seine Geschichte? Aber ich habe nicht mehr viel Zeit für Recherche. Oder doch die Katzen, die vorher Frauen waren? Meine linke Hüfte und das rechte Knie zwicken. Aber ich kann ja immer noch eine Runde draus machen, wenn ich das Gefühl habe, meine Knochen wehren sich doch zu sehr.
Kilometer 6: Boah, was ist das warm! Irgendwie muss ich das Shirt loswerden. Bauchfrei im Oktober - hat ja auch was... Oder schreibe ich einfach nur drauflos und lasse den Roman werden? Oder eine Fortsetzung von Anna? Geht ja nicht, die ist ja tot! Blöd. Das war eine schöne Lesung gestern. Hat Spaß gemacht.
Kilometer 7: Die Leine rauscht vor sich hin, und ich komme langsam in einen schönen Trott. "Steady State" hat das mein Ex immer genannt, als er noch laufen konnte und ich nicht fit genug war, um ihn zu finden. Den Steady State; der Ex war ohnehin unauffindbar. Das ist inzwischen möglicherweise ein wenig anders: Er ist zwar noch immer weg, aber laufen kann er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr, und fit ist er garantiert auch nicht. Das hat er jetzt davon. Egal. Vielleicht über meine unterschiedlichen Anteile, irgendwas Lustiges? Gestern kamen auch die satirischen Texte am besten an - das Gedicht war irgendwie nix.
Kilometer 8: Warum eigentlich muss ich immer Gas geben, wenn mir jemand entgegenkommt oder ich überholen könnte? Was für ein Anteil ist das? Die Frau, die gestern von ihren "Helferlein" erzählt hat, nannte ihren inneren Kerl "Attilla". Schöner Name. Irgendwo in mir muss auch einer sitzen. Über meine Anteile zu schreiben, ohne sie so zu nennen, ist eigentlich gar keine schlechte Idee.
Kilometer 9: So. Jetzt aber weg von der Straße, am besten hintenrum, an der Leine lang. (Für Ortsfremde: Das hat nichts mit der Wäscheleine zu tun, sondern ist ein Fluss, der in Leinefelde entspringt, durch Göttingen und Hannover fließt und später in die Aller mündet, die dann in die Weser...) Kaum zu glauben, dass Oktober ist. Ich schwitze mich tot. Aber wenigstens ist nur noch ein Trinkfläschchen übrig, und der Gürtel wird leichter.
Kilometer 10: Muss mal. Hoffentlich kommt jetzt keiner. Blödes Geklöter mit dem Gürtel.
Kilometer 11: Was sind das denn für Gestalten? Da kommen mir mitten auf dem Feldweg zwei baseballkappentragende, garantiert semikriminelle Jugendliche mit Migrationshintergrund entgegen und weichen nicht aus! Ich auch nicht! Vielleicht sollte ich doch irgendetwas über eine axtschwingende Massenmörderin schreiben?
Kilometer 12: Hier tobt ja das pralle Leben! Und das mitten auf dem Weg! Jetzt muss ich mich sehr zusammenreissen, damit ich nicht ins Rennen komme, bloß weil Publikum da ist. Cool gucken muss reichen. Ist mit Piratenkopftuch und teurer Adidas-Sportbrille auch ganz leicht. Vielleicht sollte ich über "Lifestyle und Alkoholismus" schreiben? Noch drei Kilometer bis zum Bahnhof, sagt das Schild. Da will ich aber gar nicht hin. Die bunten Blätter sehen großartig aus, und die Filmmusik von Rocky ist genau das, was ich für die letzten Meter brauche. Ich sollte wirklich einfach drauflosschreiben und den Roman sich entwickeln lassen. Das kann ich am besten. Eben. Ich sollte mal was machen, was ich vorher noch nicht gemacht habe. Schließlich wimmelt es in meinen Tarotkarten und Perspektiven nur so von Neuanfang! Und Neuanfang heisst "ANDERS"!
Kilometer 13: Iwan war großartig. Er hat als Zweiter gelesen gestern, eine sehr witzige Geschichte über Unfälle beim Gänselieselküssen, Gott, Gauß, Bismarck und Lichtenberg. Das Ganze mit russischem Akzent. Ich hatte beim Zuhören und -schauen das Gefühl, sein gesamter Auftritt sei Satire. Nach der "Sprechstunde" habe ich ihm gesagt, dass ich seine Geschichte sehr nett fand, und er antwortete: "Nett ist die kleine Schwester von Scheisse!" Fettnapf, ich grüße Dich!
Kilometer 14: An der Straße entlangrennen macht keinen Spaß. Wie wäre es mit einem Roman über einen langsam wahnsinnig werdenden Vertreter, irgendetwas in der Richtung von "Falling Down" mit Michael Douglas. Blöd. Gibt es schon. Aber vielleicht etwas Ähnliches? Blöde Kuh, hältst Du wohl an! Ich bin zwar kein Fahrrad, aber ich bin auch schnell! Schneller als Du jedenfalls!
Kilometer 15, am Ziel: Igitt, was ist das voll in der Stadt! Und stinken tut's! Schnell das Fahrrad geholt und wieder weg! War aber eine gute Zeit, und Knie, Hüfte, Rücken benehmen sich. Schön. Die Sonne scheint immer noch.

Kilometer 1 - 15, Rückfahrt: Das Leben fühlt sich einfach großartig an! Ich habe Hunger.

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