07 November 2008

Gott ist kein Taxifahrer

... und trotzdem habe ich ihn heute wiedergefunden - durch Bangen, Betteln, Beten!

Aufgrund einer intensiveren Kundenbetreuung (nicht, was SIE denken!), hatte ich heute keine Chance, den letzten Bus nach Hause zu nehmen und bestellte mir ein sogenanntes "Anrufsammeltaxi". Das bringt eine bis vor die Haustür, und verlangt nur einen "Komfortzuschlag" in Höhe von 1,75 € (in meinem Fall).

Allerdings lag zwischen Feierabend und Anrufsammeltaxiabfahrtzeit eine gute Stunde. Die gedachte ich zu nutzen, indem ich in einer recht netten Gaststätte am Göttinger Hauptbahnhof ein oder zwei Feierabendbiere zu mir nehme und dabei die Götz-George-Biographie lese.
Leider hatte die betreffende Lokalität irgendwann innerhalb des letzten Jahres Konkurs angemeldet oder der Besitzer beschlossen, sein Leben nicht mehr gastronomisch verbringen zu wollen, und an dieselbe Stelle war ein italienisches Restaurant getreten.
Ich wollte aber nichts essen (bin ohnehin auf direktem Weg zum Moppel), sondern trinken. Also wanderte ich wieder quer durch das Bahnhofsgebäude zur anderen Seite, um in der nächstgelegenen Innenstadtstraße nach Bier zu suchen.
Das erste Café in der Straße: Voll. Nicht die Chance eines Sitzplatzes. Und schon beim Blick durch die Fensterscheiben wurde deutlich, dass sich der Thekenmann in einem Stadium extremer Überforderung bewegte (Was, nebenbei gesagt, bei einem Thekenmann nicht sehr schwer ist, insbesondere, wenn er Korksandalen trägt...).
Café Nr. 2 war ebenfalls recht schnell als überfüllt einzustufen.
Ich beschloss, alte Zeiten aufleben zu lassen und eine Gaststätte zu besuchen, die mich seit meinem Abitur nicht mehr gesehen hatte.
Seltsamerweise durfte man dort rauchen. Überall! Und die Thekenfrau war ähnlich überfordert wie der Thekenmann in Kneipe Nr. 1. Ich schaffte ein Bier in dreissig Minuten, und das lag nicht an meiner Trinkgeschwindigkeit!
Da ein zweites Pils also nicht in Frage kam (inzwischen war es zu spät, um auf die 7 Minuten, die eine engagierte Frau zum Zapfen benötigt, zu warten), marschierte ich wieder Richtung Busbahnhof, kaufte mir unterwegs an einem Kiosk einen Sechserträger und baute mich an der Anrufsammeltaxihaltestelle auf.
Prophylaktisch schickte ich ein paar Stoßgebete Richtung Universum: "Bitte nicht X! Der ist so grottenlangsam! Bitte nicht X!"
Ich hätte wissen müssen, dass es besser ist, etwas Bestimmtes zu bestellen, als schwammig zu sagen: "Ich will aber nicht..."
Um 22.30 Uhr hielten drei Taxen gleichzeitig am Zentralen Omnibusbahnhof der südniedersächsischen Metropole. In Nr. 1 saß X und erklärte in der ihm eigenen Schlafmützigkeit, er führe in die Gemeinde Gleichen - diametral entgegengesetzt von meinem Wohnort.
Die größte anzunehmende Unannehmlichkeit war damit an mir vorübergegangen. Dachte ich.
Das nächste Taxi roch nach diesem recht günstigen Rasierwasser, das es bei Aldi Nord für 5,98 € pro Liter zu kaufen gibt. Das war meines. (Nicht das Duftwasser, sondern das darin gebadete Taxi.) Der dazugehörige Fahrer blickte missbilligend erst auf meinen Sechserträger und dann auf mich. Erstens war ich nicht verschleiert, zweitens im Dunkeln unterwegs und drittens ohne Kerl in Sichtweite, der mir hätte sagen müssen, wo es längs geht.
Nein, im Gegenteil, ich musste dem duftbewässerten Herrn erklären, dass der Ort, den er in seiner Liste suchte, nicht der Ort sei, zu dem ich gefahren werden wollte.
Irgendwann fuhr er dann los. Schnaufend.

Jetzt kommt Gott ins Spiel.

Da der Fahrer sich nicht entscheiden konnte, welche Spur er bevorzugte und deshalb sicherheitshalber zwei Fahrstreifen gleichzeitig befuhr, bog er auch immer im letzten Moment in die richtige Richtung ab.
Derweil trainierte ich meine Bauchmuskulatur: Bremsen - fahren - bremsen - fahren - vorbeugen - zurückfallen - vorbeugen - zurückfallen.

Eine Ampel schien ihm wichtig zu sein, denn immerhin steuerte er mit ca. 100 Stundenkilometern auf die von Gelb auf Rot umspringende Anlage zu. Ich schloss kurz die Augen und dankte GOTT, dass ich erstens keine Erben und zweitens nichts zu vererben hatte. Glücklicherweise machte er unmittelbar nach dem Überqueren der Kreuzung eine Vollbremsung. Mein erster Gedanke war, dass er jetzt doch ein schlechtes Gewissen bekommen hatte. Mein zweiter galt sehnsüchtig dem Streifenwagen am Straßenrand, der das Manöver leider nicht registriert hatte.

Ortausgang. Drei Fahrspuren, eine davon ein Linksabbieger. Die dort angebrachte Ampel zeigte Rot. "Mein" Fahrer vollbremste. Für die beiden Geradeausspuren gab es übrigens an dieser Stelle noch nie eine Ampel.
Irgendwann bemerkte es dann auch der Fahrer und gab Vollgas. Wir brausten mit ca. 140 km/h über eine Landstraße, die maximal 120 km/h erlaubte.

Da! Eine Linkskurve! Hat er sie gesehen? Naja, gerade mal im letzten Moment. So ein Adrenalinstoß fühlt sich interessant an, zumal, wenn keinerlei Einflussmöglichkeiten der Adrenalin Ausschüttenden möglich sind. Augen zu, oder lieber Augen auf? Schreien? Schimpfen?

Hatte ich erwähnt, dass der Kamikaze zunächst einen sehr ruhigen, friedlichen Klassiksender hörte, dann, unmittelbar, nachdem ich ihm ein Kompliment für seine Musikauswahl gemacht hatte, auf wildesten Freejazz wechselte, der dann auch noch durch atmosphärische Störungen derart verzerrt wurde, dass selbst ein Fan dieser Art von Geräusch (was ich nicht bin), an die Grenzen seiner Leidensfähigkeit getrieben werden könnte.

Ich fragte mich, warum ich mit meinem Wunsch nicht genauer gewesen war und wies dem Fahrer den Weg. Die Abfahrt von der Schnellstraße fand er sehr spät und auf zwei Rädern. Ich fand zum Glauben zurück.

Außerdem schnaufte er die ganze Zeit.

Begleitet von noch immer atmosphärisch gestörtem Freejazz, dem schweren Atmen des Fahrers und den Geräuschen meines panikartigen Hyperventilierens erreichten wir Whausen. Die ersten steilen Kurven nahm er mit 70 km/h. Er reduzierte die Geschwindigkeit etwas, nachdem ich ihm erklärt hatte, dass im Ort "Rechts vor Links" gilt. Trotzdem hätte er dem an die Gemeindehaushecke pinkelnden Ureinwohner fast den Hintern abgefahren.

Kurz darauf erreichten wir meine Wohnstatt.

Ich lebte, und mein Sechserträger war unverletzt.

Das war mir ein kurzes Gebet wert.

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