08 Dezember 2008

Tiefergelegt

Sonntagnachmittag, 2. Advent, die Sonne scheint, die Welt ist friedlich. Väter fahren Kind und Kegel von A nach B, ältere Ehepaare schieben gemeinsam an ihren Gehwägelchen, Familien sitzen im warmen Schein zweier Kerzen vor den ersten selbstgebackenen Keksen.
Da zerreisst ein tiefes Röhren die Stille. Mein erster Gedanke: Familie Schumacher hat den Weg nach Göttingen gefunden. Doch als ich mich umdrehe, um nach den Verursachern des Geräusches zu forschen, entdecke ich zwei tiefergelgte Golf II und ein japanisches Modell, Hersteller wegen der Menge an Plastikaufbauten undefinierbar. Sie fahren in einer Reihe hintereinander her. Als sie auf meiner Höhe sind, kann ich auch die Fahrer erkennen: Männlichen Geschlechts, das Alter irgendwo im Bereich der Zwanziger, übergewichtig und spätpubertär. Das eine sieht man an den runden Gesichtern mit deutlichem Hang zum Doppelkinn, das andere lässt sich aus dem Fahrverhalten herleiten. Alle drei lehnen sie lässig mit dem linken Unterarm auf der Kante unter dem Fenster, die andere Hand ebenso lässig auf das nachträglich eingebaute Rennlenkrad gelegt, den Blick auf den wahrscheinlich ebenfalls vorhandenen Drehzahlmesser gerichtet. (Vielleicht schauen sie sich auch die durch Auspuffgeröhre und Wettkampfatmosphäre verursachte Erektion an, das kann ich vom Bürgersteig aus jedoch nicht erkennen.)

Im Konvoi biegen sie auf die vor mir liegende Tankstelle ein, fahren dort einen großen Kreis, der vielleicht einem heute nachmittag nur spärlich erschienenen Publikum gilt, begeben sich zurück zur Ausfahrt, Füße spielen nervös mit Gaspedalen, die Motoren heulen auf, die Rennmaschinen rucken auf und ab, ich kann die Anspannung der drei Piloten fast körperlich spüren, jetzt biegen sie wieder auf die Straße ein, ich springe zurück, denn mir ist bewusst, dass sie im Rennfieber nicht auf einzelne Fußgängerinnen Rücksicht nehmen können, jetzt geht es um alles, sie beschleunigen innerhalb weniger Meter und werden dann zu einer Vollbremsung gezwungen. Ich drehe mich um, schaue noch einmal bewundernd hinüber, es ist ein Ehrfurcht gebietender Anblick, wie sie hintereinander, der rote Golf in der Pool-Position, an der roten Ampel stehen, und klatsche frenetisch Beifall.
Nur widerwillig wende ich mich schließlich ab und setze meinen Weg fort. Zu Fuß und in dem Bewusstsein, dass ich gerade drei moderne Ritter bei ihren Heldentaten beobachten durfte.

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