06 Mai 2009

Der Bunker

Gefangen in der Dunkelheit

Sie war bei einem Waldspaziergang in dieses Loch gefallen. Der Spazierweg hatte eine ganze Zeit bergauf geführt, wunderschöne Ausblicke taten sich auf, wenn sie durch die Bäume blickte. Das Wetter war relativ schlecht, April, mal kalt, mal warm, mal Sonne, mal Regen, mal Hagel, sie war schlechtgelaunt, denn sie war 40. Aber es war ein sehr schöner Wald. Bis auf das letzte Stück. Da war ein Maschendrahtzaun, ja, aber der interessierte sie nicht, ihr Höhlenforscherdrang ging mit ihr durch. Sie stieg durch ein Loch im Zaun, blickte durch einen schmalen Spalt, stellte sich vor, wie vor langer, langer Zeit Höhlenbären, Löwen und Neandertaler sich in dieser Höhle getroffen hatten.

Dann der Fall.

Es war keine Höhle, sondern nur ein alter Bunker aus dem 1. oder 2. Weltkrieg. Mitten im Wald, keine Touristenattraktion, keine Mythen, nur graue Dunkelheit. Irgendwann, vor mittlerweile 60 Jahren, hatten sich hier Menschen versteckt, die nichts mit Hitler zu tun hatten außer einem Kreuz auf ihrem Wahlzettel und der Hoffnung, daß es vielleicht besser werden würde. Eine zeitlose Wahl möglicherweise.

Ihr schoss der Gedanke durch den Kopf, dass in Alaska die Menschen Wölfe schossen, weil die die Unverschämtheit besaßen, das von der Schöpfungskrone beanspruchte Elchfleisch zu essen. Ein paar Kilometer südlich, in Kanada, wurde die Robbenmordquote erhöht, da diese possierlichen Tierchen angeblich den Kabeljaubestand dezimierten. Überfischung?

Die Tiere hatten keinen Bunker. Sie hatten nichts. Keine Lobby, keine Hilfe. Und sie hatte jetzt auch nichts. Nur einen Bunker. Schneckenhausförmig, ins Innere der Erde führend. Ängstlich. Jedes Tier, das sie fand, hätte jedes Recht, sie zu töten. Sie liebte Tiere, hatte aber trotzdem eine panische Angst vor allem, was kein Fell und mehr als sechs Beine hatte. Und sie war betrunken. Hatte diesen Waldspaziergang unternommen auf der Flucht vor ihrem Geburtstag. Und hatte mit ein paar Flaschen Sekt versucht, ihre Flucht zu beschleunigen.

Sie ging langsam den Gang hinunter. Er führte ins Erdreich. In die Unendlichkeit, wie ihr schien. Sie schwankte zwischen Furcht und Hochgefühl. Wahrscheinlich wusste niemand von diesem Bunker. Sie war allein. Endlich. Aber wer oder was war hier mit ihr?
Sie hörte Geräusche von vielen kleinen Füßen. Spinnen? Nein, in dieser grauen, klammen Dunkelheit liefen die Hauptbewohner dieses Bunkers: Kakerlaken. Und diese Kakerlaken würden sich nicht in irgendwelche Spalte flüchten, nur weil sie kam. Es war dunkel, und sie waren hier zuhause.

Sie fand einen Spalt in der Mauer. Sie krümmte sich zusammen. Sie umfaßte ihre Knie und machte sich sehr, sehr klein. Sie starb. Ihre unsterbliche Seele starb. Niemand, der ihre Hand hielt. Allein.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen