20 Dezember 2010

Das Kind in mir

Du bist da. Immer. Du turnst in meinem Kopf herum, aber immer, wenn ich genau hinsehe, versteckst Du Dich. Du bist feige! Wenn Du meine Tochter wärest, würde ich Dich erst zu einem Selbstverteidigungskurs und dann zum Karate oder Boxen schicken, damit Du es lernst, für Dich einzustehen.

Deine Angst mag ich nicht. Du hast Angst im Dunkeln, im Wald, im Wasser, in der Höhe. Du hast irgendwie immer und vor allem Angst. Manchmal glaube ich, wir hätten überhaupt nichts miteinander zu tun.

Da stehst du, einen Ball in den Händen und traust Dich nicht, ihn zu werfen, weil Du Angst davor hast, dass ihn niemand auffängt. Und ich, ich kann nicht fangen.

Du erinnerst mich ein bisschen an Annika aus "Pippi Langstrumpf". Die war auch so eine Heulsuse. Pippi mochte ich viel lieber. Die ist hingefallen, hat sich die Knie aufgeschlagen, nicht einmal das Gesicht verzogen, sondern weiter gespielt. So hätte ich Dich haben wollen!

So eine Tochter wie Dich wollte ich niemals haben! Ich wollte Ronja Räubertochter, nicht die Prinzessin auf der Erbse! Ich wollte Fantaghiró, nicht eine ihrer verweichlichten Schwestern!

Ich weiß, dass ich Dich lieben sollte. Immerhin bist Du ein Teil von mir. Aber ich kann und will Dich nicht lieben; viel lieber würde ich Dich noch heute zur Adoption freigeben.

Deine Angst ist das größte Hindernis für mich. Ich will mutig sein, stark. Ich will durchhalten, Du willst spielen. Ich will vorankommen, Du willst geliebt werden. Ich will rennen, Du willst in den Arm. Ich will Marathon laufen, Du bekommst Rückenschmerzen.

Und wenn ich Dich jetzt vor mir stehen sehe in diesem albernen Kleid und dem blauen Ball in der Hand, möchte ich nichts mehr, als Dich in den Arm zu nehmen, um Dir zu sagen, dass Du liebenswert bist, so, wie Du eben bist. Aber jedesmal drehe ich mich um und gehe. Und lasse Dich allein, obwohl ich mir nichts mehr wünsche, als dass Du meine Hand nimmst, sie festhältst und sagst: „Nimm mich mit! Ich bin Du!“

Aber ich bin es nicht.

1 Kommentar:

  1. Anonym6:56 AM

    Es ist ja übrigens nicht die Tochter. Eher die Mutter. Jedenfalls mehr als eine Schwester.

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