05 Februar 2012

Flutwelle

Weit hinten am Horizont kann ich sie sehen, die Welle. Sie baut sich während des Tages auf, und ich kann mein abendliches Ertrinken ahnen. Sie tut so, als sei sie eine Belohnung für meine Bemühungen, und nur zu gern glaube ich, was sie mir einflüstert.

Ja, Wellen können flüstern! Sie gurgeln, sanft, fordernd, locken mit gischtigen Kronen, scheinen ungefährlich, berechenbar.
Und nur, wer einmal in ihren Sog geraten ist, weiß, mit welcher Kraft sie ihre Opfer in die Unendlichkeit ziehen, welche Macht sie haben, eine Macht, gegen die es kein Aufbegehren gibt.

Vor vielen Jahren bin ich einmal an einem Strand auf Lanzarote schwimmen gewesen, der im Reiseführer als gefährlich eingestuft wurde. Ich war eine gute Schwimmerin, stark, sportlich, also habe ich mir keine Sorgen gemacht, sondern mich der Herausforderung gestellt.
Ich stand gerade hüfttief im Wasser, als eine Welle heranbrandete, die mich mitriss. Ich konnte mich nicht auf den Füßen halten, es drehte mich in einer höllischen Geschwindigkeit unter Wasser, keine Orientierung mehr, das Wasser war überall, um mich herum, in meiner Nase, meinen Atemwegen, und obwohl ich verzweifelt kämpfte, hatte ich keine Chance.
Als ich auftauchte, hatte mich die Welle weit hinausgezogen ins Meer. Ich schwamm mit aller Kraft zurück, zwei Züge Richtung Ufer, drei wieder hinaus.
Doch irgendwann kam ich an, erschöpft, verängstigt, schwindelig. Ich hätte stolz auf mich sein können, weil ich es geschafft hatte, doch in mir war nur Überdruss. Wieder einmal hatte ich mich gefährdet aus Mutwillen, einfach, weil ich nicht glauben wollte, was viele vor mir als wahr erkannt hatten.

Die Flutwelle in meinem Inneren kann ich nicht schwimmend bezwingen, nicht mit Willenskraft, nicht mit Kampf, nicht mit all meinen Erfahrungen.

Ich kann nichts weiter tun, als mir dabei zuzusehen, wie ich hinausgezogen werde, wie ich ertrinke.

Und all meine Hoffnung auf Wiedergeburt setzen.

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