08 Juni 2018

Glückliche Bekloppte und deprimierte Betreuer

Vorweg eine wichtige Anmerkung: Falls Sie sich angesprochen fühlen, weil man bei Ihnen irgendeine Art von psychischer Störung diagnostiziert hat, sind Sie von mir gerade als "bekloppt" bezeichnet worden. Das tue ich mit voller Absicht und ohne dabei despektierlich sein zu wollen. Denn nur mit der alten umgangssprachlichen Bezeichnung für psychische erkrankte Menschen kann ich beschreiben, wie sich mir der Unterschied zwischen Betreuten und Betreuern darstellt.
Nehmen Sie mir die Bezeichnung also bitte nicht übel; ich versichere Ihnen, dass ich Ihnen trotzdem voller Respekt und Sympathie gegenüberstehe!

Erst kürzlich hatte ich das folgende Erlebnis: Ich besuchte eine Einrichtung für psychisch Erkrankte. Noch vor dem Eingang begegnete mir eine Dame mittleren Alters mit kreativer Frisur, bunt bekleidet und einem breiten Lächeln im Gesicht. "Einen wunderschönen guten Tag!" rief sie. "Kann ich Ihnen weiterhelfen?" Ich verneinte, plauderte aber mit ihr über dies und das und bemerkte mich auch sehr positiv über ihre Erscheinung. "Ja, nicht wahr." erwiderte sie. "In bunt fühle ich mich immer viel weniger deprimiert." 

Schönheit Frau Blumenhut Kappe Kosmetik Gl
Lebensfreude und lustiger Hut. Die Dame ist aus Pixabay; Sie müssen Sie also nicht in der nächsten Einrichtung suchen.
Als ich wieder ging, kam mir eine noch recht junge Dame entgegen, diese mit hängenden Schultern und gesenkten Hauptes, in existentialistisches Schwarz gewandet. Sie hob weder den Kopf noch würdigte sie mich eines Grußes. "Das muss die Sozialpädagogin sein." dachte ich mir. (Später würde sich herausstellen, dass ich recht gehabt hatte.)

Spannung, Angst, Depression, Unzufrieden
Sozialpädagogin bei der Arbeit - zumindest in meiner Vorstellung...
Und genau das stelle ich immer wieder fest, wenn ich einmal mit Menschen umgehe, die eine psychische Erkrankung oder eine körperliche Behinderung haben: Die meisten von ihnen sind viel besser gelaunt und machen einen viel gesünderen Eindruck als ihre Betreuer. So eine Sozialpädagogin trägt ja häufig das ganze Leid der Welt auf ihren gebeugten Schultern, leidet unter einem Halswirbelsäulensyndrom und trockener Haut. Zum Lachen geht sie wahrscheinlich in den Keller. Wohingegen ihre Betreuten dies häufig tun (Lachen!) und überhaupt oft einen zufriedeneren Eindruck vermitteln. Das ist wahrscheinlich vorbei, sobald der/die Betreuer/in oder Behandler/in damit anfängt, die Defizite zu suchen und alles, was im Leben des Bekloppten bisher schiefgelaufen ist. Dann befinden sie sich nämlich wieder auf Augenhöhe - und genau das scheinen Menschen, die beruflich mit Menschen zu tun haben, die so ganz anders ticken, auch zu brauchen.

Bleiben Sie also bitte genau so, wie Sie sind, liebe (bekloppte) Leser/innen! Denn genau so sind Sie so lange großartig, wie Sie selbst es wollen.

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