29 Dezember 2009

Weihnachtsgeschichten II

„Peter Shandy, Du bist unmöglich!“ sprudelte die Frau seines besten Freundes. „Wie soll ich denn die Lichterwoche organisieren, wenn nicht alle mitmachen? Wir haben eine Tradition zu wahren.“

Die Tradition reichte, wie Professor Shandy herauszufinden sich die Mühe gemacht hatte, nicht weiter als bis in das Jahr 1931 zurück, als die Frau des damaligen Präsidenten eine Schachtel Lampions gefunden hatte, die von irgendeinem Studentenball übriggeblieben war. In einer Mischung aus künstlerischer Neigung und yankeehafter Geschäftstüchtigkeit beschloss sie, am Weihnachtsabend auf dem Hügel von Balaclava eine Große Festbeleuchtung in Szene zu setzen.

Die Große Festbeleuchtung, die eine Nacht lang die Trübsal der Großen Wirtschaftskrise verdrängen konnte, war so ein durchschlagender Erfolg gewesen, dass das College sie seither jedes Jahr wiederholt hatte – mit immer neuen Ausschmückungen. Inzwischen wurde der Hügel während der ganzen Feiertage zu einem Chaos aus funkelnden Lichtern, roten Schlitten und Studenten in absurden Kostümen, die völlig überflüssige Aufforderungen grölten, nun zu singen und froh zu sein.

(…)

Als er an diesem Morgen, einem 21. Dezember, dastand, und automatisch die Blätter an dem Strauß gigantischer, aus Weichspüler-Plastikflaschen herausgeschnittenen Christsterne zählte, der ihm gerade aufgezwungen worden war, fühlte er, wie es in ihm einen Knacks gab.

(…)

Am Morgen des 22. Dezember hielt ein großer Lastwagen mit zwei Männern vor dem Backsteinhaus. Der Professor ging an die Tür. „Haben Sie alles mitgebracht, meine Herren?“

„Den ganzen Kram. Mann, hier oben nehmt Ihr Euch Weihnachten aber mächtig zu Herzen!“

„Wir haben eine Tradition zu wahren“, sagte Shandy. „Sie können wohl mit den Fichten anfangen.“

Die Arbeiter schufteten den ganzen Morgen. Auf den Gesichtern von Nachbarn und Studenten erschien ein Ausdruck von freudigem Erstaunen. Im Verlauf des Tages, während die Männer weitermachten, blieb das Erstaunen, aber die Freude verblasste.

Es war dunkel, als die Arbeiter fertig waren. Peter Shandy begleitete sie zum Lastwagen. Er trug seinen Mantel, Hut, Galoschen und ein Köfferchen.

„Alles in bester Ordnung, meine Herren? Die Lichter gehen alle sechs Sekunden aus und an? Die Verstärker sind auf volle Lautstärke gedreht? Sicherungskästen aus Stahl mit robusten Schlössern? Wunderbar! Schalten wir den Strom ein und hauen ab. Ich werde mich Ihnen bis Boston anschließen, wenn ich darf. Ich habe dort eine dringende Verabredung.“

(…)

Genau achtundvierzig Stunden später, am Heiligen Abend, trat Professor Shandy vor die Tür, um Luft zu schnappen. Um ihn her wogte der weite Atlantik Über ihm leuchteten nur die Positionslichter des Frachters und ein Himmel voller Sterne. Das Captain’s Dinner war höchst vergnüglich gewesen.

Daheim auf dem Hügel von Balaclava würden Scheinwerfer die acht lebensgroßen Rentiere bestrahlen, die auf das Dach des Backsteinhauses montiert waren. In den Fenstern würden sechzehn Nikolausgesichter über sechzehn Gebinde aus künstlichen Kerzen hinwegschielen, deren jedes drei rote und drei violette Glühbirnen enthielt, und jedes Fenster war von einer Girlande aus weiteren sechsunddreißig Birnen – abwechselnd grün, orange und blau – umrahmt.

Er schaute auf die Uhr und stellte einige schnelle Kopfrechnungen an. Genau in diesem Moment hatten die 742 Glühbirnen auf den Fichten draußen zum 28.800sten Mal aufgeleuchtet – insgesamt 2.136.9000 Mal. Die Verstärker mussten jetzt je 2536 Wiederholungen von „I’m dreaming of a White Chrismas“, „Mami hat den Nikolaus geküsst“ und „Was ich mir zur Weihnacht wünsche, sind bloß meine Schneidezähne“ gedröhnt haben. Jetzt mussten sie gerade beim siebzehnten Takt der 2537sten Wiedergabe von „Egal, wer Du bist, schaff mir die Rentiere vom Dach, Dicker!“ sein.

Professor Shandy lächelte im Dunkeln und begann, Sterne zu zählen. (Charlotte McLeod; „Schlaf in himmlischer Ruh’“)

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