17 April 2012

Senk ju vor trävelling

... das habe ich gerade letztes Wochenende im Auto gehört und mich dabei gefreut, dass ich im Auto sitzen darf und mir nicht beim Warten auf den verspäteten Zug auf einem arschkalten Bahnhof den Tod holen muss.
Heute stehe ich auf einem arschkalten Bahnhof und warte auf den wegen eines Gleisschadens (Haha!) um 30 Minuten verspäteten ICE nach Hannover. Um mich herum telefoniert, smst und mailt es, gibt Statusmeldungen ab und twittert. Fast jeder hat einen Stöpsel im Ohr (ich auch) oder riesige Kopfhörer drübergestülpt. Jeder zweite hantiert mit Laptop, Tablet oder Smartphone, und nahezu jeder hat einen Coffee-to-go in der Hand bzw. auf dem einzigen noch freien Sitz in der windgeschützten Sitzecke neben sich.
Ich komme mir vor wie eine Statistin im Film "Die Karikatur des modernen Lebens, aufgezeichnet im Bahnhof Göttingen" und weiß nicht, ob ich mich vor Lachen über den Bahnhof kugeln (zu kalt), mir eine Kamera organisieren und meine eigene Dokumentation drehen (zu aufwendig) oder einfach alles ignorieren und meditieren soll. Ich habe ja jetzt Zeit.
Ich entscheide mich für Yoga. Genauer gesagt für den Baum. Den kann man auch mit Rucksack und Wasserflasche in der Hand machen.
Früher (als Menschen auf einem morgendlichen Bahnsteig noch eine Ahnung davon hatten, dass es eine Welt außerhalb des Web 2.0 gibt) wäre ich bestenfalls schräg angesehen und schlimmstenfalls weggesperrt worden. Heute nimmt mich niemand wahr. Die beiden Damen mittleren Alters, die nicht gerade twittern oder ihre zehnminütliche Statusmeldung abgeben, halten ihre Gesichter in die Sonne, die Augen geschlossen. Vier Menschen sehe ich lesen, fünf rauchen. Das gibt es auch noch.

Im Zug - der pünktlich 35 Minuten nach der offiziellen Abfahrtzeit (mit dem Auto stünde ich jetzt schon im Berfusverkehrsstau vor Hannovers Toren) und vertauschten Wagennummern (was zu allseitigem wildem Hin- und Hergerenne führt) eintraf, hat sich gerade mein Sitznachbar über die Lautstärke meines klitzekleinen iPod Shuffle beschwert. Dabei habe ich doch nur versucht, die Geräuschkulisse um mich herum zu übertönen!

Jedenfalls danke ich dem Leben auf das Allerherzlichste für den Start in die Woche und die Gelegenheit zur Teilnahme an einer realen Soap (ohne Doku).

Nachtrag zum Abend: Auf der Rückfahrt hatte der ICE 60 Minuten Verspätung (wo mir mein lieber Freund La Guasa doch noch am Montagabend treuherzig und überzeugt versicherte, dass die meisten Züge immer pünktlich sind...). Ich entschied mich für die etwas mehr als einstündige Fahrt im Metronom, statt mir auf dem arschkalten Bahnsteig...
Nachdem ich einem unsympathischen Halbwüchsigen mit Stöpseln in den Ohren (ich tippe auf Miles-Kevin nach einem Wachstumsschub, dem Papa ja schon in der Sauna die elementaren Höflichkeitsregeln ausgetrieben hatte!) den freien Sitz, auf dem sein Rucksack stand, mit einer auffordernden Geste entringen konnte, schlief ich ein und träumte von einer gemütlichen Autofahrt mit kurzweiligen Staupausen.

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