09 September 2017

Ludwig, der Schweinehund, die Stresshormone und ich



Manchmal wünschte ich mir, der kleine Mistkerl hätte keinen Namen. Dann könnte ich ihn viel besser beschimpfen und ihm an allem die Schuld geben. Ludwig hat sich aber in meinem Kopf vorgestellt und so getan, als sei er nur einer meiner Kopfbewohner. Nichts Dramatisches. Einfach nur einer mehr.*
Seitdem sitzt er in irgendeiner Ecke meines Unterbewusstseins und versteckt sich, sobald ich etwas genauer hinsehe. Aber wenn ich mehr oder weniger willenlos, weil über vierzig, ohne nennenswerten Adrenalinschub, dafür aber voll von selbstproduzierten Hungerhormonen und außerdem in meinem Biorhythmus ganz am unteren Ende bin, kommt er hervor und flüstert: "Komm, gönn Dir mal was!" oder "Man muss auch mal Pause machen können!"

Dabei sind diese ganzen Stresshormone eigentlich völlig nutzlose Überbleibsel aus Urzeiten, als wir noch gesammelt und gejagt haben und Säbelzahntiger hinter jeder Haus- pardon, Höhlenecke lauerten. Der Höhlenvorstand war auf der Jagd und rannte irgendeinem Mammut hinterher (bestenfalls) oder auf der Suche nach einer neuen Gefährtin in der Gegend herum (schlimmstenfalls), während wir Frauen das gerade entdeckte Feuer bewachen. Von Schweinehunden war damals noch überhaupt keine Rede; die tauchten erst viel später auf.

Wir sitzen also gemütlich in der Höhle, als die Höhlennachbarin zur Rechten auf einmal brüllt: "Achtung! Säbelzahntiger im Anmarsch!" Wir schnappen uns den Ast mit dem Feuer dran, scheuchen laufen könnende Blagen ins Höhleninnere, schleppen den Rest hinterher, keuchen, hecheln, sind voll auf Kämpfen oder Fliehen programmiert. Adrenalin pur. Der Puls geht schneller, die Verdauung funktioniert großartig, alle Sinne sind geschärft.

Kurz darauf stellt sich heraus, dass die Nachbarin einen neuen Pilz entdeckt und gegessen hat und der Säbelzahntiger die etwas groß geratene Katze der linken Höhlennachbarin gewesen ist. Also den Nachwuchs wieder aus dem Höhleninneren zurückbeordert, Feuer neu angezündet, dem schreienden Jüngsten nochmal rasch die Brust gegeben, der Atem beruhigt sich, und wir bekommen einen Mordshunger. Das ist die Nachwirkung der ganzen Aufregung. Nachdem wir nämlich geflüchtet sind mit all dem Adrenalin in uns drin und ohne nennenswerte Hungergefühle, braucht unser Körper Nahrung, wenn er wieder Ruhe hat.

Das war auch vollkommen in Ordnung, solange die Jungs zu Fuß unterwegs waren und wir regelmäßig von Säbelzahntigern oder zu groß geratenen Nachbarskatzen heimgesucht wurden. Heute, im Jahre 2017, schütten wir Adrenalin aus, wenn das Telefon klingelt, der Briefträger ein Einschreiben abliefert oder die Kontoauszüge rote Zahlen ausweisen. Das mögen zwar alles hochdramatische Vorgänge sein, Kalorien verbrauchen sie nicht. Trotzdem schüttet unser alberner Körper im Anschluss an die Durchsicht der Kontoauszüge wieder diese Hormone aus, und wir müssen fressen. Das führt dann nicht zu neuer Kraft, sondern zu Fettleibigkeit im End- und Hüftspeck im Anfangsstadium.
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Und hier kommt der Schweinehund ins Spiel. Der verharmlost unsere Fressorgien und redet uns ein, dass wir immer noch ganz viel Ruhe brauchen nach diesem anstrengenden Besuch des Briefträgers oder dem Kraftakt beim Einschalten der Waschmaschine.

Das ist wie mit Eva und der Schlange. Evas Schlange hat gezischelt, dass diese Adam den Apfel unterjubeln soll, weil der Genuss erstens zur Intelligenz beiträgt und es zweitens mit ihm in der Kiste besser laufen würde, mein Schweinehund zischelt, dass ich schon viel zu viel gearbeitet, dabei viel zu wenig gegessen habe und jetzt dringend eine Pause brauche. Wie, ich habe noch gar nicht angefangen? Muss man denn eine Pause immer zwischendrin machen? Warum nicht mit einer Pause den Arbeitstag beginnen?

Und natürlich bin ich jetzt dank eben dieses Schweinehundgezischels für irgendeine Aktivität viel zu träge. Der einzige Vorteil an meiner Trägheit: Ludwig pennt jetzt auch.

*Halten Sie mich jetzt bitte nicht für völlig durchgeschallert; das bin ich zwar möglicherweise, aber wenn Sie genau nachsehen, werden Sie feststellen, dass Sie in Ihrem Kopf auch nicht alleine sind.

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